Du erwachst mitten in der Nacht. Etwas stimmt nicht. Eine drückende Schwere lastet auf deiner Brust. Dein Körper ist wie gelähmt. Du kannst dich nicht bewegen, nicht schreien, kaum atmen. Und dann nimmst du sie wahr: eine dunkle Gestalt, die dich erdrückt. Sie sitzt auf dir, du hast keine Chance gegen sie. Angst schnürt dir die Kehle zu, du willst sie abschütteln, aber nicht einmal dein kleiner Finger gehorcht dir.
Die Sekunden dehnen sich zu einer Ewigkeit, bis die Lähmung endlich nachlässt und du wieder atmen kannst. Dein Herz klopft wie verrückt, du bist schweißgebadet. Hastig machst du das Licht an – aber da ist nichts. Es war nur ein Traum. Ganz bestimmt nur ein Traum …
Was du gerade erlebt hast, kennen Menschen seit Jahrtausenden. Unsere Vorfahren hatten einen Namen dafür: den Alp, auch Nachtmahr oder Druckgeist genannt – ein nächtlicher Dämon, der schlafenden Menschen auf der Brust sitzt, ihnen die Luft abdrückt und grauenvolle Träume beschert. Eine Begegnung, die so prägend ist, dass sie in unserer Sprache bis heute fortlebt: im »Albtraum«.
Die moderne Wissenschaft erklärt das Phänomen nüchtern als Schlafparalyse, begleitet von hypnagogen Halluzinationen – die Entkoppelung von Bewusstsein und motorischer Kontrolle während des Schlafzyklus. Eine simple neurologische Fehlfunktion also. Fall gelöst? Nicht ganz.
Denn warum berichten Menschen quer durch alle Zeiten und Kulturen von erstaunlich ähnlichen Erlebnissen? Warum sehen sie dieselben schattenhaften Gestalten, sogar im Wachzustand?
In diesem Artikel wollen wir den Alb einmal ganzheitlich betrachten, von seinen Ursprüngen, seiner volkstümlichen und modernen Deutung bis hin zu alternativen Erklärungen.
Bist du bereit dafür? Dann komm mal mit ins Zwielicht …
Inhalt
ToggleWas ist der Alp? – Definition und Grundlagen
Im Volksglauben unserer Vorfahren war der Alp kein eingebildetes Wesen, sondern eine handfeste Bedrohung, so real wie der Wolf im Wald oder der Hagel auf dem Feld. Er gehörte zur Kategorie der »Druckgeister« – nächtliche Dämonen, die sich auf die Brust der Schlafenden setzen, ihnen die Luft abschnüren und schreckliche Bilder ins Bewusstsein pflanzen.
Das Wort »Alp« (oder »Alb«) leitet sich vom althochdeutschen »alb« oder »alf«, engl. »elf«, ab, was ursprünglich ein neutral besetzter Begriff für naturgebundene Geister war (»Elfen«). Im Laufe der Zeit wandelte sich die Bedeutung ins Bedrohliche, nicht zuletzt durch die Christianisierung. Unsere heutige Bezeichnung »Albtraum« ist ein sprachliches Relikt dieser Vorstellung – es ist nicht einfach ein »schlimmer Traum«, sondern wörtlich ein »vom Alp verursachter Traum«.
Was den Alp so faszinierend macht, ist seine Beständigkeit über die Jahrhunderte. Die ersten schriftlichen Erwähnungen finden wir bereits in mittelalterlichen Texten, aber die mündliche Überlieferung reicht wohl viel weiter zurück, vermutlich bis in vorchristlich-germanische Zeiten.
Die historischen und regionalen Beschreibungen des Alps können variieren. Sein charakteristisches Merkmal bleibt jedoch immer gleich: Er setzt sich auf die Brust des Schlafenden, drückt ihm die Luft ab und verursacht quälende Träume.
Schauen wir uns den Alp in den Volkssagen und Überlieferungen zunächst einmal genauer an.
Der Alp in Volkssagen und Mythologie
Vom haarigen Zwerg bis zum verfluchten Bauern – der Alp trägt in der Volkssage viele Gesichter.
In Bayern und Österreich erscheint er oft als pelziges Wesen mit glühenden Augen, in anderen Regionen als missgestalteter Gnom oder sogar als schwarze Katze. Was alle diese Erscheinungsformen eint, ist sein nächtliches Treiben.
Der Volksmund berichtet, dass der Alp heimlich ins Schlafzimmer eindringt – durch Schlüssellöcher, Ritzen oder sogar durch die Wände selbst. Hat er sein Opfer erreicht, setzt er sich mit seinem ganzen Gewicht auf dessen Brust oder Bauch, manchmal drückt er auch die Kehle zu.
In einigen Sagen nimmt der Alp die Gestalt vertrauter Personen an. Da ist der neidische Nachbar, der sich nachts verwandelt, die eigene Schwester, die mit glühenden Augen erscheint, oder der Knecht, der nachts von der Magd gequält wird. In diesen Fällen wird der Alp zum Ausdruck sozialer Ängste und unterdrückter Konflikte.
Besonders faszinierend (und unheimlich) ist die Vorstellung, dass der Alp die Seele eines Lebenden ist, die sich im Schlaf löst und Schaden anrichtet, was man als psychologische Selbstspaltung oder Konfliktprojektion erklären könnte.
In christlichen Deutungen (vor allem ab dem Mittelalter) wurde der Alp auch als ein Wesen gesehen, das sexuelle Träume provoziert, den Menschen verführt oder missbraucht und dadurch moralisch oder spirituell »verunreinigt«.
So unterschiedlich die regionalen Ausprägungen auch sein mögen – die Grundidee des Alps als nächtlicher Quälgeist ist tief in unserer Kultur verankert und ähnlich auch in anderen Kulturkreisen zu finden.

Verwandte Sagengestalten im deutschsprachigen Raum
Schauen wir zunächst auf den deutschen Sprachraum. Hier existiert eine ganze Familie von Druckgeistern:
- Drude/Trude (Süddeutschland/Schweiz): Ihr Name lebt im »Drudenkreuz« (Pentagramm) als Schutzzeichen fort.
- Schrättele (Schwaben/Schwarzwald): kleiner, oft haariger Quälgeist
- Nachtmahr/Mahrt (Norddeutschland): etymologisch verwandt mit dem englischen »nightmare«
- Doggele (alemannischer Raum): bekannt dafür, auf dem Bauch des Schlafenden zu tanzen
- Drud (Bayern): würgt eher als zu drücken
- Hexendrücken (Ostpreußen) und Murraue (Schlesien): regionale Varianten
Interessanterweise werden einige dieser Gestalten explizit als weiblich dargestellt, anders als der oft geschlechtsneutrale Alp. Allen gemeinsam ist das Motiv des nächtlichen Eindringens und der körperlichen Bedrängnis.
Internationale Verwandte – Der Alp in anderen Kulturen
Der Alp ist ein globales Phänomen:
- Slawisch: Mora/Mara als Namensgeber für »Nightmare« im Englischen
- Römisch: Incubus/Succubus als Dämonen mit sexueller Komponente
- Angelsächsisch: Old Hag (»von der Hexe geritten werden«)
- China: Guǐ yā chuáng (鬼压床), »Geisterunterdrückung«)
- Japan: Kanashibari (金縛り, »in Metall gebunden«)
- Südostasien (Hmong-Kultur): Dab Tsog (gefürchteter Geist, der die Seele raubt)
- Türkei: Karabasan (»Schwarzer Drücker«)
Nun könnte man angesichts der weltweiten Verbreitung ähnlicher Vorstellungen fragen: Handelt es sich um eine universelle neurologische Erfahrung, die kulturell unterschiedlich interpretiert wird? Oder um ein tatsächliches Phänomen, das global in Erscheinung tritt? Bevor wir uns dieser Fragestellung widmen, zuvor noch ein paar hilfreiche Tipps für alle, die »vom Alp geplagt« werden. 😉

Abwehrmechanismen gegen den Alp
Gegen nächtliche Quälgeister entwickelten unsere Vorfahren ein ganzes Arsenal an Schutzmaßnahmen:
- Symbolische Schutzzeichen: Pentagramm (Drudenfuß), in Türen und Fenster geritzte Kreuze
- Pflanzliche Schutzmittel: Beifuß unterm Kopfkissen, Weißdorn über der Tür
- Alltagsgegenstände: Besen verkehrt an die Tür gelehnt (sollte den Alp dazu zwingen, jeden Strohhalm zu zählen)
- Schlafposition: nicht auf dem Rücken schlafen (gilt interessanterweise bis heute als Tipp gegen Schlafparalyse)
- Verbale Bannformeln: dreimalige Anrufung Gottes oder spezifische Beschwörungen
Besonders wirksam sollte es sein, den Alp beim Namen zu nennen, wenn man ihn erkannte. Dahinter steckt der weitverbreitete Glaube, dass die Kenntnis des wahren Namens eines dämonischen Wesens Macht über dieses verleiht. In manchen Regionen wurde auch empfohlen, eine Schüssel Wasser neben das Bett zu stellen – der Alp würde hineinfallen und ertrinken.
PS: Alp(traum)-Geplagte dürfen unten gern kommentieren, welche Mittel ihnen geholfen haben …
Kirchliche Perspektiven und Deutungen
Die christliche Kirche integrierte den vorchristlichen Alp-Glauben geschickt in ihre Dämonologie:
- Anfänglich: Umdeutung als heidnische Götzen oder Naturgeister, die nun als Dämonen galten
- Mittelalter: Einordnung als Diener des Teufels, die Gläubige vom rechten Weg abbringen
- Hexenverfolgung: Interpretation als Hexen oder deren dämonische Helfer
- Exorzismen: Kirchliche Rituale zur Austreibung des vermeintlichen Dämons
Die Instrumentalisierung des Alp-Glaubens für politische Zwecke war besonders wirksam: Wer behauptete, jemand sei ein Alp oder stünde mit Nachtdämonen in Verbindung, konnte diese Person effektiv ausgrenzen oder gar eliminieren. Besonders gefährdet waren Außenseiter, Menschen mit körperlichen oder geistigen Auffälligkeiten, Hebammen, alleinstehende ältere Frauen oder Personen mit ungewöhnlichem Wissen.
Die Grenze zwischen Aberglauben, Volksglaube und kirchlicher Rechtsprechung war dabei fließend. Besonders brisant war die kirchliche Verbindung von Alp-ähnlichen Erscheinungen mit Sexualität. Der »Hexenhammer« (lat. »Malleus maleficarum«, 1486) beschrieb detailliert, wie Dämonen schlafende Menschen heimsuchen und sexuell missbrauchen könnten.
Die Kirche bot einerseits Schutz durch Weihwasser, Gebete und Segnungen, machte aber zugleich Angst, indem sie Alp-Erlebnisse als Folge sündigen Verhaltens oder mangelnden Glaubens deutete.

Der Alp in Kunst und Literatur
Das Motiv des Alps fand vielfältigen Ausdruck in der Kunst:
- Malerei: Johann Heinrich Füsslis berühmtes Gemälde »Der Nachtmahr« (1781/91) zeigt einen Dämon, der auf einer schlafenden Frau hockt, und einen gespenstischen Pferdekopf im Hintergrund (ein Wortspiel mit »mare«). Siehe obige Abbildung.
- Literatur: E.T.A. Hoffmann verarbeitete das Motiv in »Der Sandmann«, Goethe erwähnt es metaphorisch in »Faust«.
- Volksmärchen: Der Alp erscheint als verwandelter Prinz oder verfluchter Mensch.
- Moderne Adaptionen: Stephen Kings »Das Spiel« greift das Thema auf, ebenso Filme wie »Nightmare on Elm Street«.
Interessant ist, wie das Alp-Motiv sich von der reinen Schreckgestalt zum psychologischen Symbol wandelte – vom äußeren Dämon zum Sinnbild innerer Abgründe.
Wissenschaftliche Erklärungsansätze
Die moderne Wissenschaft erklärt das Alp-Phänomen hauptsächlich durch neurologische und psychologische Prozesse:
- Schlafparalyse: Ein natürlicher Schutzmechanismus während des REM-Schlafs, der den Körper lähmt, damit wir Traumhandlungen nicht physisch ausführen. Wenn das Bewusstsein erwacht, während der Körper noch gelähmt ist, entsteht der Eindruck der Hilflosigkeit.
- Hypnagoge/hypnopompe Halluzinationen: Beim Einschlafen oder Aufwachen können lebhafte Halluzinationen auftreten, die oft als bedrohliche Anwesenheit oder Gestalten wahrgenommen werden.
- Atmungsaussetzer: Schlafapnoe kann Erstickungsgefühle und Panik auslösen, die im halbwachen Zustand als »auf der Brust sitzender Dämon« interpretiert werden könnten.
- Physiologische Faktoren: Schlafposition (Rückenlage), Alkoholkonsum, Stress und Erschöpfung erhöhen das Risiko für Schlafparalyse-Episoden.
Was ich persönlich spannend finde: Die Wissenschaft kann zwar den Mechanismus der Erfahrung erklären, bleibt aber eine Antwort schuldig, warum Menschen kulturübergreifend so ähnliche Wesen wahrnehmen. Handelt es sich um kulturelle Konditionierung oder um archetypische Muster im menschlichen Bewusstsein? Oder um noch etwas ganz anderes?
Alternative Deutungen und Verbindungen
Jenseits der wissenschaftlichen Mainstream-Erklärungen existieren alternative Interpretationen:
- Parapsychologische Deutung: Der Alp könnte ein tatsächlich existierendes feinstoffliches Wesen sein, das sich von menschlicher Energie ernährt – ähnlich den »Shadow People«, die ich in meinem früheren Artikel beschrieben habe.
- Interdimensionale Hypothese: Die Schlafparalyse könnte ein Schwellenzustand sein, in dem die Wahrnehmungsbarriere zwischen Dimensionen durchlässiger wird. Der »Alp« wäre dann ein Wesen aus einer Parallelrealität.
- Astralreise-Theorie: In manchen esoterischen Traditionen wird die Schlafparalyse als fehlgeschlagener Versuch einer Astralreise interpretiert – die Seele hat sich teilweise vom Körper gelöst, bleibt aber noch verbunden.
- Kollektives Unbewusstes: Nach C.G. Jung könnten Alp-Erscheinungen Manifestationen archetypischer Schattengestalten sein, die universelle psychologische Konflikte symbolisieren.
Besonders interessant ist die Verbindung zu den »Shadow People«: Beide Phänomene zeichnen sich durch schattenhafte Gestalten aus, die oft als beobachtend oder bedrohlich wahrgenommen werden. Könnte es sich um dasselbe Phänomen handeln, nur in unterschiedlichen Bewusstseinszuständen erlebt?
Fazit
Der Alp steht exemplarisch für die Vielschichtigkeit paranormaler Phänomene. Was unsere Vorfahren als nächtlichen Dämon deuteten, erklärt die Wissenschaft heute als neurologische Fehlfunktion. Beide Sichtweisen haben ihre Einschränkungen, nicht zuletzt weil sie sich gegenseitig, zumindest aus heutiger »rationaler« Sicht, kategorisch ausschließen.
Die wissenschaftliche Erklärung der Schlafparalyse beschreibt zwar den Mechanismus, kann aber nicht vollständig erklären, warum Menschen weltweit so ähnliche Wesenheiten wahrnehmen. Die ursprüngliche Deutung als feinstoffliche Wesenheit wurde durch das kirchliche Dogma erst verteufelt und im Zuge der Aufklärung zum Aberglauben erklärt.
Vielleicht liegt die Wahrheit dazwischen? Die Schlafparalyse kann ein realer neurologischer Zustand sein, der aber gleichzeitig die Tür zu Erfahrungsebenen öffnet, die über das Materiell-Messbare hinausgehen – einen Schwellenzustand zwischen Welten.
Das materialistisch-mechanistische Weltbild geht davon aus, dass Bewusstsein durch das Gehirn, also die Materie, erschaffen wird. Einen Beweis dafür gibt es nicht. Wenn aber andersherum Bewusstsein Materie erschafft (und auch die Quantentheorie lässt solche Interpretationen zu), dann könnten wir viele merkwürdige Phänomene erklären. Hier spielt auch die psychologische Deutung eine Rolle: Kann es nicht sein, dass unsere Ängste und unverarbeiteten Konflikte reale Wesenheiten erschaffen? Diese könnten nicht nur auf der Traumebene aktiv sein, sondern sich in einigen Fällen auch manifestieren – wie der Alp oder die erwähnten »Shadow People«.
Diese Deutung habe ich im Übrigen auch für das »Zwielicht« in meinem Imagiya-Universum übernommen. Der Alp in seiner klassischen Form hat zwar noch keinen Auftritt in meinen Romanen, aber in »Der Pakt von Babylon: Verbannt« lernen wir den Schattenmar als dämonisches Wesen kennen (als Anspielung auf den Nachtmahr).
Die Frage ist am Ende nicht, ob der Alp »real« ist, sondern was seine Beständigkeit über Jahrtausende uns über die verborgenen Dimensionen der menschlichen Erfahrung verrät (und möglicherweise darüber hinaus).
Eure Meinung
Hat dich jemals ein Alp heimgesucht? Hast du Erfahrungen mit Schlafparalyse oder den in meinem anderen Artikel beschriebenen »Shadow People« gemacht? Welche Sichtweise vertrittst du – die rationale, die magische oder irgendetwas dazwischen?
Schreib es gern in die Kommentare.
Ansonsten: Bleib wachsam, auch im Schlaf. Und nicht vergessen: Was immer dir in den Schatten begegnet – du bist nicht allein. Das Zwielicht ist überall …
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