Nebelschwaden ziehen über die herbstlichen Felder, während die Dämmerung ihre grauen Schleier über das Land breitet. In dieser besonderen Nacht, wenn der Oktober dem November weicht, scheint die Zeit selbst den Atem anzuhalten. Die Alten nannten sie Samhain – jene geheimnisvolle Schwelle zwischen den Welten, an der die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits durchlässig werden.
Ihr kennt das vielleicht: Dieses seltsame Gefühl, wenn die Tage kürzer werden und die Schatten länger. Wenn die goldenen Blätter von den Bäumen wirbeln und der Wind Geschichten aus längst vergangenen Zeiten zu flüstern scheint. Als Autorin mystischer und fantastischer Geschichten inspirieren mich die geheimnisvollen Herbsttage besonders. Menschen berichten oft davon, dass sie in dieser besonderen Zeit seltsame Erfahrungen machen.
Was hat es mit Samhain wirklich auf sich? Warum öffnen sich ausgerechnet in dieser Nacht die Tore zur Anderswelt? Und was unterscheidet das ursprüngliche keltische Fest von unserem modernen Halloween?
Lasst uns gemeinsam einen Blick hinter die Schleier der Zeit werfen und erkunden, warum Samhain bis heute nichts von seiner mystischen Anziehungskraft verloren hat.
Inhalt
ToggleWas ist Samhain?
Samhain markiert nicht einfach nur einen Tag im keltischen Kalender – es ist der magischste Moment des Jahres, eine Zeit zwischen den Zeiten. Das Fest wurde traditionell in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November gefeiert und kennzeichnete für die Kelten den Beginn der dunklen Jahreshälfte.
Der Name selbst trägt bereits diese Bedeutung in sich: Samhain stammt aus dem Altirischen, zusammengesetzt aus „sam“ (Sommer) und „fuin“ (Ende), wobei es noch weitere mögliche Deutungen gibt. Doch es ging um weit mehr als nur den Wechsel der Jahreszeiten. Unsere keltischen Vorfahren glaubten, dass in dieser Nacht die Grenzen zwischen unserer Welt und der Anderswelt so dünn wurden wie Morgennebel. Die Tore zwischen den Welten öffneten sich, und die Geister der Verstorbenen konnten zu ihren Familien zurückkehren.
Für die Kelten war Samhain ein Neujahrsfest, denn in ihrer Vorstellung begann das neue Jahr mit der dunklen Jahreshälfte. Eine Zeit der Besinnung und der Einkehr, aber auch eine Zeit der Prophezeiungen und der Weissagungen. In dieser besonderen Nacht, so glaubte man, war der Schleier zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft besonders dünn.

Samhain vs. Halloween
»Das ist doch dasselbe wie Halloween!«, mögen viele von euch denken. Zugegeben, die Verbindung liegt nahe – schließlich feiern wir Halloween am selben Tag. Doch während heute Kinder in gruseligen Kostümen von Tür zu Tür ziehen und »Süßes oder Saures« rufen, hatte das ursprüngliche Samhain eine tiefere, spirituellere Bedeutung.
Natürlich hat Halloween seine Wurzeln in Samhain. Als das Christentum sich in Irland ausbreitete, wurde aus dem keltischen Fest »All Hallows‘ Eve« – der Vorabend von Allerheiligen. Doch während Halloween sich zu einem kommerzialisierten Spektakel entwickelt hat, bei dem Kürbislaternen und Horrorfilme im Mittelpunkt stehen, war Samhain ein heiliges Fest der Ahnenverehrung und der spirituellen Verbindung.
Die Kelten zündeten in dieser Nacht keine Kürbisse an (die gab es in Europa damals noch gar nicht), sondern große Feuer (»sog. »bonfires«). Diese dienten nicht der Dekoration, sondern sollten die Geister der Ahnen leiten und böse Geister fernhalten. Auch trugen sie keine gruseligen Kostüme – wenn überhaupt, dann verkleideten sie sich, um sich vor bösen Geistern zu schützen oder die Verbindung zur Anderswelt zu stärken.
Was beide Feste jedoch verbindet, ist die Anerkennung dieser besonderen Nacht als Zeit, in der die Grenzen zwischen den Welten verschwimmen. Selbst in unserer modernen Halloween-Tradition schwingt noch etwas von dieser uralten Magie mit – auch wenn wir sie häufig nicht mehr bewusst wahrnehmen.



Die historischen Wurzeln
Wenn wir nach den historischen Wurzeln von Samhain suchen, müssen wir tief in der Zeit zurückreisen. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass bereits die Menschen der Jungsteinzeit die Übergänge der Jahreszeiten mit großen Festen begingen. Besonders spannend sind dabei die Ausrichtungen megalithischer Bauwerke wie Newgrange in Irland: Seine Grabkammer wird nur zur Wintersonnenwende von der aufgehenden Sonne erhellt – ein Hinweis darauf, wie wichtig diese Zeit des Übergangs schon vor über 5000 Jahren war.
Die frühesten schriftlichen Zeugnisse zu Samhain stammen allerdings erst aus dem frühen Mittelalter. In der »Tochmarc Emire«, einer altirischen Sage, wird Samhain als eines der vier großen Feste des keltischen Jahreskreises erwähnt. Neben Imbolc (1. Februar), Beltane (1. Mai) und Lughnasadh (1. August) markierte es einen der wichtigsten Wendepunkte im Jahr.
Für die Kelten war Samhain nicht nur ein spirituelles, sondern auch ein höchst praktisches Fest. Es markierte das Ende der Erntezeit und den Beginn des Winters. Das Vieh wurde von den Sommerweiden zurück in die Ställe getrieben, und die Menschen bereiteten sich auf die dunkle Jahreszeit vor. Überschüssiges Vieh wurde geschlachtet, da es nicht durch den Winter gefüttert werden konnte. Die großen Festfeuer, von denen zeitgenössische Quellen berichten, dienten dabei auch ganz praktischen Zwecken: Mit ihrer Hilfe wurde das Fleisch geräuchert und haltbar gemacht.
Doch der praktische Nutzen war untrennbar mit dem Spirituellen verbunden. Die Kelten glaubten, dass die Anderswelt – die Welt der Götter, Geister und Ahnen – in dieser Zeit besonders nah war. Vielleicht, weil der Tod des Sommers und das Sterben in der Natur sie besonders für die Gegenwart der Verstorbenen sensibilisierte?

Samhain in der irischen Mythologie
Die irische Mythologie ist reich an Geschichten über Samhain, und viele der wichtigsten Ereignisse in den alten Sagen finden genau in dieser Nacht statt. Kein Wunder, denn wenn sich die Tore zur Anderswelt öffnen, ist alles möglich.
Eine der bekanntesten Erzählungen handelt von Finn mac Cumhaill, dem legendären Anführer der Fianna. Jedes Jahr zu Samhain musste er die Stadt Tara vor dem Feuer speienden Phantom Aillen schützen, das aus dem Sidh, den Hügeln der Anderswelt, kam, um die Festung niederzubrennen. Mit einer magischen Speerspitze gelang es Finn schließlich, den Feuergeist zu besiegen.
Auch die Túatha Dé Danann, die mythischen Vorfahren der Feen, spielen in den Samhain-Geschichten eine wichtige Rolle. Der Sage nach zogen sie sich in der Samhain-Nacht in die Anderswelt zurück, als die ersten Menschen Irland besiedelten. Seitdem leben sie in den Sidhe-Hügeln und erscheinen nur noch zu besonderen Anlässen – vor allem in der Nacht zu Samhain, wenn die Grenzen zwischen den Welten dünn sind.
Besonders faszinierend ist die Verbindung zwischen der Morrigan, der keltischen Kriegsgöttin, und der Höhle von Cruachan, dem »Tor zur Unterwelt«. Diese Höhle, die noch heute in der irischen Grafschaft Roscommon zu finden ist, galt als einer der wichtigsten Übergänge zur Anderswelt. Man sagt, dass zu Samhain hier immer noch seltsame Dinge geschehen …
Moderne Interpretationen und Bräuche
Auch wenn die ursprüngliche Bedeutung von Samhain im Laufe der Jahrhunderte verblasst ist – der Zauber dieser besonderen Zeit hat überlebt. Neben dem kommerziellen Halloween finden sich heute verschiedene Arten, diese besondere Nacht zu begehen.
Moderne Druiden und spirituelle Gemeinschaften feiern Samhain oft mit Ritualen, die an die alten Traditionen anknüpfen. Sie entzünden Feuer, gedenken ihrer Ahnen und nutzen die besondere Energie dieser Schwellenzeit für Meditation und innere Einkehr. In Irland selbst werden noch immer große Feuer entfacht, auch wenn die wenigsten Menschen dabei an die alten Kelten denken.
Interessanterweise finden sich Parallelen zu Samhain in vielen Kulturen weltweit. Das mexikanische »Día de los Muertos«, bei dem die Verstorbenen zu Besuch kommen, oder das chinesische Geisterfest »Zhong Yuan« basieren auf ähnlichen Vorstellungen. Vielleicht liegt es in der menschlichen Natur, besonders in der dunklen Jahreszeit eine Verbindung zu unseren Ahnen zu suchen?
Auch in unserem Alltag hat sich mehr von den alten Bräuchen erhalten, als wir denken. Wenn wir zu Allerseelen Grablichter anzünden oder im November unserer Verstorbenen gedenken, dann schwingen darin noch immer die uralten Rhythmen von Samhain mit. Nur dass wir heute die Geister eher im übertragenen Sinne einladen – meist jedenfalls.

Exkurs: Die magische Seite von Samhain
Für moderne Hexen und spirituell Praktizierende ist Samhain nicht nur ein Fest der Ahnen, sondern auch eine Zeit besonders kraftvoller Magie. Die dünne Grenze zwischen den Welten macht diese Nacht ideal für tiefgehende spirituelle Arbeit.
Farben
Die traditionellen Samhain-Farben sind Schwarz (für die Dunkelheit und Transformation), Orange (für die Ernte und Lebenskraft), und Violett (für spirituelle Kraft). Auch Silber wird oft verwendet, um die Verbindung zur Anderswelt zu stärken.
Symbole
- Kürbis: Ursprünglich wurden Rüben ausgehöhlt und mit Gesichtern versehen. Sie dienten als Laternen und sollten böse Geister abschrecken, aber auch den Seelen der Verstorbenen den Weg leuchten. Der amerikanische Kürbis setzte sich erst später durch.
- Besen: Symbol für Reinigung und Neuanfang. Der Besen kehrt das Alte weg und macht Platz für das Neue. An Samhain wird er auch genutzt, um negative Energien aus dem Haus zu fegen.
- Schädel & Knochen: Repräsentieren die Ahnen und die Verbindung zum Tod als Teil des natürlichen Zyklus. Sie erinnern uns daran, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern Teil der Transformation.
- Pentagramm: Schutzzeichen und Symbol für die fünf Elemente (Erde, Luft, Feuer, Wasser, Spirit)
- Kessel: Steht für Transformation und Wiedergeburt. Im Kessel werden magische Tränke zubereitet und Räucherwerk verbrannt.
- Spindel & Schere: Symbole für das Spinnen und Durchtrennen der Lebensfäden
- Rabe & Krähe: Gelten als Botentiere zwischen den Welten
- Schwarze Katze: Wächter der Anderswelt und Beschützer magischer Geheimnisse
- Eule: Symbol für Weisheit und die Fähigkeit, in der Dunkelheit zu sehen
- Spinne: Weberin des Schicksals und Symbol für die Verbindung zwischen den Welten
- Sense: Traditionelles Symbol für den Übergang und die letzte Ernte des Jahres
Ritual-Werkzeuge
- Kräuter: Wermut und Beifuß öffnen die Tore zur Anderswelt, Rosmarin stärkt die Verbindung zu den Ahnen, Salbei reinigt die Energien
- Räucherwerk: Myrrhe, Weihrauch und Sandelholz für Schutz und spirituelle Reinigung
- Kristalle: Obsidian und schwarzer Turmalin für Schutz, Amethyst für spirituelle Verbindungen, Mondstein für intuitive Kräfte
- Rituelle Speisen: Äpfel (Symbol der Anderswelt), Granatäpfel (für Transformation), Kürbis (für Schutz), Nüsse und Gewürze wie Zimt
Magische Praktiken
Diese Zeit eignet sich besonders für:
- Divination und Wahrsagung (die Schleier sind dünn)
- Schattenarbeit (Konfrontation mit verborgenen Aspekten des Selbst)
- Ahnenarbeit (Kontakt und Versöhnung mit Verstorbenen)
- Transformationsrituale (das Alte stirbt, das Neue wird geboren)
- Schutzzauber (die Grenzen zwischen den Welten sind durchlässig)
Ein einfaches Samhain-Ritual
Viele moderne Praktizierende beginnen die Feier mit der Errichtung eines Ahnenaltars. Darauf finden sich:
- Bilder verstorbener Angehöriger
- Eine schwarze und eine weiße Kerze (Tod und Wiedergeburt)
- Herbstliche Naturmaterialien
- Eine Schale mit Äpfeln oder Granatäpfeln
- Persönliche Gegenstände der Verstorbenen
Der Altar wird mit Räucherwerk gereinigt, die Kerzen entzündet und ein Moment der Stille gehalten. Viele nutzen diese Zeit für Meditation oder um Botschaften aus der Anderswelt zu empfangen.
Göttinnen und Götter
Zu Samhain werden besonders die dunklen Aspekte der Göttin verehrt:
- Die Morrigan (keltische Göttin von Tod und Wiedergeburt)
- Hekate (Göttin der Wegkreuzungen und Magie)
- Cerridwen (walisische Göttin der Transformation)
Jeder, der Samhain feiern möchte, kann dies auf seine individuelle Weise tun oder die Traditionen nach seinen Bedürfnissen anpassen.
(Mir persönlich reicht eine Tasse Tee und das Anzünden einer Kerze, ggf. mit ein wenig Räucherwerk.;-))
Fazit: Die zeitlose Bedeutung von Samhain
Während ich diesen Artikel schreibe, ziehen draußen wieder Nebelschwaden über die Felder, und die frühe Dämmerung erinnert uns daran, dass die dunkle Jahreszeit begonnen hat. Vielleicht ist es kein Zufall, dass unsere Vorfahren ausgerechnet diese Zeit wählten, um innezuhalten und über die Grenzen zwischen den Welten nachzudenken.
In meinen eigenen Büchern spielt die Anderswelt eine wichtige Rolle – jener geheimnisvolle Ort jenseits unserer gewohnten Realität, der uns besonders in der Samhain-Zeit so nahe erscheint.
So ist in Requiem für einen Reaper ist die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits in Form des »Zwielichts« stets greifbar. Ein Wesen der Anderswelt ist zudem Reapers ständiger Begleiter. In meinem Projekt Nirgendwann werden in der Nacht zu Samhain die Tore zu einer anderen Welt geöffnet – mit fatalen Folgen.
Die Kelten wussten, was moderne Wissenschaftler erst langsam wieder entdecken: Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als unsere Alltagslogik erfassen kann. Manchmal müssen wir nur den Mut haben, genauer hinzusehen.
Samhain erinnert uns daran, dass Übergänge wichtig sind. Der Wechsel von Hell zu Dunkel, von Leben zu Tod, von einer Welt in die andere – all das gehört zum natürlichen Rhythmus des Lebens. Vielleicht liegt genau darin die zeitlose Faszination dieses uralten Festes: Es erlaubt uns, für einen Moment innezuhalten und zu spüren, dass wir Teil von etwas Größerem sind.
In diesem Sinne wünsche ich euch eine magische Samhain-Zeit. Und wer weiß – vielleicht begegnet auch ihr in diesen besonderen Tagen einem Hauch der Anderswelt?
Möchtet ihr euch weiter inspirieren lassen? Dann schaut gern bei meinen Büchern vorbei oder folgt mir auf Instagram oder Pinterest.
Abbildungen: Die verwendeten Bilder sind mit KI erstellt (Midjourney AI).
Eine Meinung zu “Samhain: Wenn die Tore zur Anderswelt sich öffnen”