Jenseits der Rosen | Flash Fic | Geistergeschichte

Jahrzehntelang stand das alte Haus auf dem Hügel leer. Kalte Eiswinde heulten durch die zerbrochenen Scheiben, während der Schnee nachts im Innern herumtanzte.

Doch am 14. Februar des Jahres 2025 flackerte ein Licht in einem der oberen Schlafzimmer auf.

John war gerade erst eingezogen, nachdem er begonnen hatte, das historische Gebäude zu renovieren. In den letzten Monaten hatten Handwerker die gröbsten Schäden behoben und neue Leitungen verlegt. Allerdings gab es nur in den oberen Zimmern bereits Strom und fließendes Wasser. So oft er konnte, packte John selbst mit an. Die Arbeit half ihm, zu vergessen und seiner Einsamkeit zu entfliehen.

Wenn er nur geahnt hätte, dass das Haus verwunschen war.

John hatte sich einen Tee gekocht und sich in seinen Sessel gesetzt. Das Schlafzimmer war der einzige gemütliche Raum. Ein Ofen spendete angenehme Wärme und auf dem Nachttisch flackerte das gedämpfte Licht einer alten Lampe. Draußen wiegten sich die Zweige der Bäume im Wind. Die Nacht brach herein.

John starrte nach draußen, in seinen Erinnerungen versunken. Die dampfende Tasse Tee stand unberührt vor ihm auf dem Fenstersims. In der Hand hielt er eine einzelne Rose. Zu Valentinstag hatte er Sophia immer eine rote Rose geschenkt. Jedes Jahr hatten sie sich nach der Arbeit in einem nahegelegenen Restaurant getroffen und den Tag gemeinsam ausklingen lassen. Es war auch ihr Hochzeitstag gewesen. Zwanzig Jahre lang hatten sie ihn gefeiert, ihre Liebe ungetrübt vom Lauf der Zeit.

Im letzten Jahr hatte er vergeblich auf Sophia gewartet.

Sie war drei Straßen vom Restaurant entfernt an einer Ampel überfahren worden und kehrte nie mehr zu ihm zurück.

Eine Träne rollte über seine Wange. Er wünsche sich nicht sehnlicher, als noch einmal mit Sophia Valentinstag zu feiern.

Als er den Duft der Rose einatmete, hörte er leise Musik zu ihm heraufdringen. »Seltsam«, sagte er zu dem alten Haus. »Das muss der Wind sein.«

Er stieg die knarrenden Stufen hinunter und folgte dem Klang zu einem Raum am Ende des Flurs. Fahles Mondlicht drang durch die zugigen Fenster.  Als er die Tür aufstieß, setzte sein Herz vor Schreck einen Schlag aus. Eine wunderschöne Frau in einem weißen Kleid wiegte sich anmutig im Mondlicht zur geisterhaften Melodie. Gebannt beobachtete er ihren Tanz, unfähig, sich zu rühren.

Als sie sich zum ihm herumdrehte, stockte ihm der Atem. Seine Knie wurden weich.

»Wie … wie ist das möglich?«, stammelte er.

Ein trauriges Lächeln huschte über das blasse Gesicht der Erscheinung. »Dein Wunsch ist auch meiner. Lass uns gemeinsam Valentinstag feiern, bevor die Erinnerung an uns beide verblasst.«

Sie streckte eine durchscheinende Hand nach ihm aus. Gegen jede Vernunft griff John danach. Er konnte es nicht glauben. Die Frau war seine Sophia.

»Tanz mit mir, John«, flüsterte sie. »Jenseits der Rosen sind wir für immer vereint.«

Und so tanzten sie gemeinsam durch das Zwielicht.

Weit entfernt, jenseits von Raum und Zeit, hauchte der Tod einen Kuss in die Nacht. Als das Morgenlicht den Zauber schließlich brach, blieb nur eine rote Rose zurück, ihre blühende Schönheit auf ewig zu Eis erstarrt.