Ich sehe dich! Anruf aus der Vergangenheit …

Video Call - ein Anruf aus der Vergangenheit

Ist das zu glauben?

Der Hörer knackt, der Bildschirm erwacht zum Leben … dein Atem stockt. Aus dem tanzenden Chaos aus Bildpunkten schält sich ein Gesicht. Es ist grauenhaft verzerrt. Dein Herz schlägt bis zum Hals. Was für eine grauenhafte Kreatur kommt da auf dich zu? Kalter Schweiß benetzt deine Stirn. Nein, das darf nicht wahr sein!

Doch plötzlich hört das grausame Knacken und Rauschen auf. Leises Atmen dringt durch den Telefonhörer. Das Antlitz auf dem Bildschirm nimmt menschliche Züge an.

Erleichtert atmest du auf. Du bist nicht aus Versehen in eine andere Dimension teleportiert worden, sondern die Video-Verbindung hat nur länger als üblich gebraucht, um sich zu stabilisieren. Innerlich lachst du über dich selbst. Technische Interferenzen. Wahrscheinlich ein fernes Gewitter. Inzwischen solltest du dich daran gewöhnt haben.

Aber die Technologie der Videotelefonie ist noch so neu für dich, dass du ihr nicht über den Weg traust. Was, wenn sie sich eines Tages gegen dich wendet?

Wir schreiben das Jahr 1936 … Schauplatz Berlin.

Videotelefonie - ein Anachronismus?

Woran denkst du, wenn du das Wort »Videotelefonie« hörst? Vermutlich genau wie ich an Skype, Smartphones mit FaceTime, das nächste virtuelle Treffen mit einem Geschäftspartner oder an öde Zoom-Konferenzen der wöchentlichen Team-Meetings …

Als ich herausgefunden habe, dass die erste kommerzielle Videotelefonie bereits im Jahr 1936 in Berlin stattfand, bin ich fast aus allen Wolken gefallen. Menschen wie du und ich konnten sie öffentlich nutzen. Nicht einziges Mal habe ich im Geschichtsunterricht davon gehört. Du etwa?

Ich frage mich, welche Gedanken einem Menschen durch den Kopf gegangen sein mögen, der zum allerersten Mal in der Geschichte eine Videoverbindung hergestellt hat.

War er aufgeregt? Hatte er Sorge, dass es nicht funktioniert? Oder plagte ihn sogar die Angst, welche Konsequenzen diese neue und damals noch experimentelle Technologie bereithalten könnte?

Vor rund neunzig Jahren stand dieser Mensch dort, wo wir heute stehen, wenn wir mit einer KI chatten. Ungeahnte Möglichkeiten tun sich auf, aber wir wissen nicht, wohin sie führen.

Doch der Reihe nach …

Die erste kommerzielle Videotelefonie: Reichspost Fernsehsprechstelle

Die Reichspost Fernsehsprechstelle wurde im Jahr 1936 eröffnet. Sie gilt als das weltweit erste kommerzielle Videotelefonsystem. Entwickelt wurde sie von der deutschen Post und legte damit den Grundstein für die heutige Videotelefonie. 

Das war eine unglaubliche technische Errungenschaft, die ihrer Zeit weit voraus war. Natürlich war sie zugleich ein Propaganda-Projekt. »Hej, schaut her, wie weit wir euch technologisch voraus sind«, möchte man den einen oder anderen Politiker durch die Zeiten rufen hören. Schließlich befinden wir uns nur noch wenige Jahre vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs entfernt.

Doch die eigentliche Idee hinter der Fernsehsprechstelle war es, Menschen zu ermöglichen, sich über Bild und Ton aus der Ferne zu sehen und zu hören. Und das vor fast 90 Jahren! Ich finde das unglaublich. Immerhin hat es danach Jahrzehnte und eine Pandemie gedauert, bis es für uns zum Alltag geworden ist.

Die ersten Gehversuche mit der Videotelefonie fanden bereits 1927 in den USA statt. Doch es dauerte fast ein weiteres Jahrzehnt, bis sie in Deutschland weltweit erstmalig kommerziell eingesetzt wurde.

Die Fernsehsprechstelle verwendete das mechanische Fernsehsystem, das zu dieser Zeit bereits weit verbreitet war. Mithilfe einer rotierenden Scheibe mit Löchern wurden Bild und Ton übertragen. Diese Löcher ermöglichten es dem Licht, das Bild zu passieren und den Ton zu übertragen. Die Reichweite des Systems war jedoch begrenzt und die Qualität der Übertragung nicht optimal. Verglichen mit heute, möchte ich hinzufügen.

Denn natürlich war es damals nicht möglich, ein kleines Gerät aus der Hosentasche zu zücken und damit mal schnell seinen besten Kumpel anzurufen.

Man musste sich vorher für einen Videoanruf verabreden und zum vereinbarten Zeitpunkt das Reichspostamt aufsuchen. Zudem war eine Verbindung nur in wenigen großen Städten wie Leipzig, Berlin, Nürnberg, München oder Hamburg möglich.

Die Reichspostämter dort stellten Räume zu verfügung, die mit einem Bildschirm und einem Telefon ausgestattet waren.

Obwohl die Technologie für die Allgemeinheit zugänglich war, wurde sie nur in geringem Umfang genutzt, denn schon ein Videoanruf von 3 Minuten Dauer kostete rund 3,50 RM (Reichsmark), doppelt so viel wie ein normales Telefonat. Umgerechnet entspräche das heute einem Preis von rund 17 Euro. Heftig, oder? Andererseits nicht ungewöhnlich, bedenkt man den technischen Aufwand, der dafür nötig war und die Tatsache, dass die Forschung noch in den Kinderschuhen steckte. 

Daher wurde bereits kurz nach Ausbruch des Krieges das Projekt im Jahr 1940 eingestellt und die vorhandene Technologie nur für militärische Zwecke genutzt. Nach dem Krieg kam die Forschung zunächst zum Erliegen und wurde erst Mitte der 1950er Jahre zögerlich wieder aufgenommen. Allerdings legte man den allgemeinen Fokus der Forschung lieber auf den Ausbau der Fernsehtechnologie.

(Wahrscheinlich müssen wir uns deswegen heute mit so vielen gruseligen TV-Formaten herumschlagen …)

Eine Frau macht einen Videoanruf in den 1930er Jahren
Wer ruft mich da an? Video Call im Jahr 1936 (KI-erstellt)

Was wäre wenn?

Ich liebe Gedankenexperimente. Was wäre, wenn der zweite Weltkrieg die Forschung nicht unterbrochen hätte oder wenn er gar nicht erst ausgebrochen wäre? Wie sähe unsere Welt heute aus?

Hätten ABBA ihre Auftritte bereits in den 1970ern mit Avataren durchgeführt, anstatt erst im Jahr 2022 bei ihrem legendären »ABBA Voyage« Comeback in London?

Würden wir mit Avataren eine parallele Existenz in einer virtuellen Welt leben? Ein etabliertes Metaversum ohne Mark Zuckerberg sozusagen …

Hätten wir in den 1990ern statt in Diskos rumzuhängen Skype-Partys veranstaltet? Wer weiß …

Die Möglichkeiten sind unendlich. Die Vorstellung, dass bereits in den 1930er Jahren Videotelefonie möglich war, ist für mich ein echtes Mysterium und daher eine Erwähnung in meinen Mystery-Meldungen wert.

Fazit

Die Videotelefonie ist seit ein paar Jahren aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Dabei ist sie nur ein Beispiel dafür, was wir in den letzten hundert Jahren erreicht haben oder wo wir unter anderen Voraussetzungen bereits stehen könnten.

Was die Videotelefonie aus dem Jahr 1936 mir außerdem klargemacht hat: Wir verschwenden heutzutage kaum einen Gedanken daran, wann, wie oder gar warum sich die technischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte entwickelt haben, denn ihre Anwendung ist für uns längst selbstverständlich geworden. Seit dem Zeitalter des Internets und seit Kurzem der KI schreitet sie rasend schnell voran.

Was denkt ihr, wie die Welt heute aussehen würde, wenn die Geschichte nur ein klein wenig anders verlaufen wäre? Oder wie sich die Zukunft der Menschheit durch den Einsatz von KI entwickeln wird?

Wir stehen heute wieder an einem Scheideweg …

Schreibt es gern in die Kommentare.

Postscriptum

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Abbildungen sind mit KI erstellt (Midjourney AI).

2 Meinungen zu “Ich sehe dich! Anruf aus der Vergangenheit …

  1. immer wieder interessant, deine Blogs und Newsletters. Ich bin grad in Argentinien und öffne die Augen für die Verbindungen zwischen den Nazis und Argentinien. Wenn man den Blick dafür hat, trifft man überall darauf. Schon 1942 wurden deutsche Wissenschaftler heimlich nach Argentinien gebracht und am Ende des Krieges (Operation Paperclip) massenweise. Auch da oft über Argentinien in die USA. Deutschland muss seinerzeit, also nicht erst mit den Nazis, technisch unglaublich weit fortgeschritten sein. Es gäbe noch sie vieles aus dieser Zeit zu erforschen. LG von Lea

    1. Spannend! Das wusste ich bisher auch noch nicht, dass Wissenschafter vor Kriegsende nach Argentinien gebracht wurden. Man kennt es ja eher als Fluchtziel nach Kriegsende. Wir kennen nur einen kleinen Teil der Geschichte. Es gibt nicht umsonst jede Menge Theorien und Spekulationen aus der Zeit.
      LG
      Mairi

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